KI: Schreckgespenst oder Ghostwriter für alle?
Wie ChatGPT & Co. die Zukunft des Schreibens beeinflussen werden – Blogbeitrag mit Video!
Dass ein Großteil der Reden, Bücher oder LinkedIn-Posts nicht von den Persönlichkeiten geschrieben werden, die sie veröffentlichen, ist weitreichend bekannt. Weniger bekannt sind hingegen ihre stillen Helfer: die Ghostwriter. Sie machen aus Ideen Texte, aus Fakten Geschichten. Sie agieren aus dem Off: hören zu, führen Gedanken weiter und verfassen Texte so, als hätte sie der Auftraggeber selbst verfasst – sorgfältig recherchiert, in der richtigen Tonalität.
Nun mischt ein neuer Player hinter den Kulissen der öffentlichen Bühnen mit: Künstliche Intelligenz.Kommunikations-Experten sprechen von historischen Veränderungen und davon, dass schon in wenigen Jahren der Großteil der online und offline Texte nicht mehr von Menschenhand geschrieben werden. KI-Schreibprogramme sollen Schreibprozesse beschleunigen und verbessern. Mit Hilfe von Algorithmen, die riesige Datenmengen durchforsten, sind Texte in wenigen Sekunden erstellt. Das Prinzip ist auf den ersten Blick ähnlich wie beim Auftragsschreiber: KI-gesteuerte Textprogramme wie ChatGPT oder Jasper AI liefern Ideen, übernehmen Recherchen, geben Einblicke in die Verhaltensmuster des Publikums. Man füttert sie mit Inhalten, der Zielgruppe und der gewünschten Tonalität und kurze Zeit später liegen die sinnhaften Wörterfolgen vor – und das in jeder beliebigen Textform.
Wird nun bald jeder seinen persönlichen – wenn auch seelenlosen – Ghostwriter haben? Werden wir überhaupt noch selbst schreiben?
Ich bin Autorin und Ghostwriterin. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kunst, Politik und Gesellschaft vertrauen mir als „Schatten“ an ihrer Seite. Als Ghostwriterin verfasse ich Reden, Fachartikel und Bücher für Prominente – auch für UnternehmerInnen im Tech-Bereich. Nicht zuletzt deshalb setzte ich mich mit dem Thema KI auseinander, längst bevor die Serverkapazität von ChatGPT regelmäßig am Limit war. Bei der Frage, ob KI-gesteuerte Sprachtools in naher Zukunft Berufsschreiber ablösen werden, gilt es für mich zwei Bereiche zu unterscheiden: Zweifels ohne können KI-Sprachanwendungen in vielen Feldern eine Bereicherung sein. Übersetzungstools etwa eröffnen ganzen Nationen den Zugang zu Sprache und Bildung. Auch ChatGPT oder Jasper AI können durchaus originelle Texte produzieren und den Alltag einiger Berufsgruppen erleichtern. Sobald es aber darum geht, originäre Gedanken eines Individuums weiterzuführen, stoßen diese Sprachprogramme an ihre Grenzen. Und genau das ist der Kern von Ghostwriting. Aus einer Botschaft, These oder Idee eine stimmige Geschichte zu machen, erfordert einen intensiven Austausch. Es geht darum, sich zutiefst mit Inhalten auseinanderzusetzen und diese nicht nur zu verstehen, sondern weiterzudenken. Das kann – noch – kein Sprachmodell dieser Welt.
Auch wenn KI und Berufsschreiber auf den ersten Blick sich zunehmend zu Konkurrenten entwickeln, gibt es für die Ghostwriterin einen entscheidenden Unterschied: Empathie. Denn so eloquent die Texte der Sprachprogrammen auch wirken mögen, handelt es sich dabei doch um eine Aneinanderreihung von Wörtern, die auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen beruhen. Es fehlt nicht nur ein grundsätzliches Verständnis von Zusammenhängen, sondern ein zuverlässiges Verständnis für Moral und Ethik. Doch schon jetzt nehmen Masse und Geschwindigkeit an KI-produzierten Texten eklatant zu. Mit dem Ergebnis, dass künstlich erzeugte, sprich synthetische Texte die Leser erreichen, ohne, dass diese sich dessen bewusst sind.
Im Geschäft mit der künstlichen Intelligenz geht es unter anderem darum, durch Vereinheitlichung Zeit zu sparen. Das ist in vielen Bereichen sinnvoll, halte ich im Kontext der Sprache aber für bedenklich. Dabei geht es nicht nur um die allseits gefürchtete Verbreitung mangelhafter oder falscher Inhalte, sondern um den Umgang mit der Sprache selbst. Eine Gesellschaft, in welcher der Sprachgebrauch zunehmend standardisiert wird: ein Bild, das unvermittelt an Dystopien wie George Orwell’s 1984 denken lässt.
Schreiben mit KI: Steuern wir auf eine nuancen- und freudlose Einheitssprache zu?
Sprachliche Nuancen sind wichtig, und für diesen Wert müssen wir uns einsetzen. Ist etwas ‚lecker‘ oder ‚köstlich‘, meine ich eine Sporthalle oder einen Palast, wenn ich von einem Gebäude spreche? Jedes dieser Wörter eröffnet eine andere Welt im Geist und es bedarf eines hohen Maßes an Sprachgefühl, in jedem Zusammenhang das adäquate Wort auszuwählen. Fakt ist: Es gibt Dinge, die sich auch zukünftig nicht standardisieren und programmieren lassen. Bei allen Chancen, welche KI mit sich bringt, dürfen wir uns weder zu sehr von synthetischen Texten beeindrucken noch von einem standardisierten Sprachgebrauch einschränken lassen. Und vor allem sollten wir die Macht der Sprache nicht unterschätzen. Freiräume, Mehrdeutigkeiten und auch Fehler sind es letztendlich, die Sprache und uns Menschen ausmachen.
//